Ein New Work Experiment

Vor ein paar Tagen habe ich von einem spannenden Projekt gelesen, bei dem sich ein Unternehmen nach den Prinzipien des New Work verändert. Mit der Digitalisierung wandeln sich Märkte und Arbeitswelten. In Zeiten des Umbruchs gibt es immer Vordenker die sich mit dem Wandel beschäftigen und neue Ideen und Thesen sammeln um darüber zu diskutieren. Eine dieser Personen ist Joana Breidenbach, Mitbegründerin der Spendenplattform betterplace.org. Ihr geht es darum den Spirit von New Work nicht nur zu denken, sondern ihn auch zu leben.

Dazu versucht sie die New Work Prinzipien konsequent mit ihrem Team umzusetzen und berichtet vom Verwandlungsprozess des klassischen Think Tank Unternehmens mit Leiterin und einem neunköpfigen Team hin zu einer dezentralen Organisation mit eigenverantwortlichen Mitarbeitern nach dem Prinzip „Unternehmer im Unternehmen“.

Als Impulsgeber diente das Buch „Re-Inventing Organisations“ von Frederic Laloux, der ein Modell vorstellt, bei dem Selbstmanagement und kompetenzbasierte Hierarchien im Zentrum stehen. Ein Unternehmen kommt damit ohne klassische Chefs und Manager aus. Jeder Mitarbeiter kann grundsätzlich jede Entscheidung treffen. Dies sind zum Beispiel Entscheidungen darüber an welchem Projekt er sich beteiligen will oder auch wie hoch sein Gehalt sein soll.

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Reinventing Organisations, Frederic Laloux

„Was mich an dem Modell so begeisterte, war dass es NICHT völlig egalitäre, hierarchielose Organisationen propagierte, in denen jede Entscheidung ewig lange im Konsens gesucht wird und alle die gleichen Mitspracherechte haben. Bei unserer neuen Organisationsform handelt jedes Teammitglied unternehmerisch und weitgehend autonom. So erhält jeder den größtmöglichen Raum sein Potential zu entfalten.“ (Joana Breidenbach, Betterplace-Mitbegründerin)

Weil so ein Veränderungsprozess nicht von heute auf morgen funktioniert und weil es natürlich immer auch skeptische Teammitglieder gibt, wurde im Fall von Betterplace ein Management- und Therapie-erfahrener Coach hinzugezogen um den Prozess professionell zu begleiten. Schnell wurde unter dessen Betreuung klar, dass alle Teammitglieder auf das Wort, die Erfahrung, die Entscheidung und das Netzwerk ihrer Chefin schauten, während die Beziehungen untereinander eher ungleichmäßig und schwach waren. Weil aber eine distribuierte, kompetenzbasierte Führung nur dann funktionieren kann, wenn Mitarbeiter eigenverantwortlich agieren können und einen ausgeprägten Wir-Sinn haben, wurde genau daran in zahlreichen Workshops und Teammeetings gearbeitet. Das erklärte Ziel: mehr Verständnis und mehr Vertrauen! Das Team lernt Bedürfnisse, Kompetenzen und Schwächen besser kennen und wird dazu ermutigt Konflikte offener auszutragen. Die neuen Aufgaben von Joana Breidenbach liegen nicht mehr darin Entscheidungen zu fällen und Anweisungen zu geben, sondern eher darin als Moderator darauf zu achten dass die verschiedenen Perspektiven innerhalb des Teams nebeneinander existieren können.

Sie selbst habe schon früh gelernt, dass es Menschen um sie herum gibt, die Dinge besser können als sie. In ihren Augen wäre es also Quatsch Entscheidungen für diese Menschen in Bereichen zu fällen in denen sie einfach besser sind. Damit hat Joana Breidenbach etwas erkannt was in vielen Unternehmen und bei vielen Chefs in der Praxis anders gehandhabt wird. Oft ist die Verbindung von Chefs zum Unternehmen so stark, dass sie nur schwerlich Dinge aus der Hand geben und andere entscheiden lassen können. Dabei gibt es immer auch andere sehr kompetente Mitarbeiter in Unternehmen. Der eine ist eben besser darin zu texten, der nächste weiß besser wie viele Mitarbeiter er braucht um ein Projekt erfolgreich umzusetzen und wieder ein anderer kann vielleicht besser mit Zahlen umgehen …

Darüber hinaus gibt es aber schon noch beobachtende Rolle im Team um bestimmte Bereiche zu überblicken. So muss es zum Beispiel jemanden geben, der die Finanzen kontrolliert oder auch jemanden der sich um die Stimmung, den Spirit im Team kümmert. Außerdem wurde ein Konfliktfahrplan mit mehreren Eskalationsstufen entwickelt.

Natürlich gibt es Unsicherheiten und offene Fragen :

„Was, wenn ein Kunde sich beschweren will, es dafür aber keinen „Vorgesetzten“ gibt? Was, wenn ein Mitarbeiter sich falsch einschätzt und eine Aufgabe übernimmt, der er nicht gerecht wird? Wie können formal-juristische Strukturen, in denen es Letztverantwortliche gibt, mit einer distribuierten Führung koexistieren?“ (Joana Breidenbach, Betterplace-Mitbegründerin)

Dennoch sprechen die Erfolge der Anstrengungen der letzten Monate für sich –
Das Team wächst an seinen Aufgaben. Es wurden Produkte entwickelt auf die Joana Breidenbach niemals selbst gekommen wäre, es gibt sowohl neue Kunden als auch neue Aufträge und die Stimmung im Team ist extrem positiv obwohl es ein hohes Arbeitspensum gibt. Das Modell vom Chef der keiner ist, ist natürlich ein wenig paradox. Je mehr die Leitung dezentralisiert wird, desto weniger formale Autorität übt der Chef im Bereich Strategie und Management aus.

„In unserem heutigen Modell habe ich faktisch keine Macht mehr – auch wenn ich im Eskalationsprozess bei Teamkonflikten die letzte Entscheidungsinstanz bin. Zugleich halte ich die ursprüngliche Vision des „betterplace lab“ im Teambewusstsein hoch und versuche sicherzustellen, dass die progressiven, dezentralen Praktiken nicht wieder in konventionelle Bahnen zurückfallen.“
So beschreibt Joana Breidenbach ihre Rolle und die aktuelle Situation imm Team von Betterplace.

Das „betterplace lab“ ist überzeugt davon, dass die Digitalisierung dazu beitragen kann die Welt ein wenig besser zu machen. Dafür forscht und experimentiert es an der Schnittstelle zwischen Innovation und Gemeinwohl. Als Forschungsabteilung von „betterplace.org“, Deutschlands größter Spendenplattform, verbreitet das „betterplace lab“ Wissen und inspiriert andere die Digitalisierung positiv zu nutzen.

Bildquelle(n): © MuK-Blog.de / Husemann, K. / eigene Darstellung

Kati Husemann

designer, networker, online- und social media enthusiast

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