Anfang Juni beginnt mit dem größten Rockmusikfestival deutschlands, Rock am Ring am Nürburgring in der Eifel, die Festivalsaison. Gleichzeitig tritt die Veranstaltung aber auch eine Welle an Kritik los: Musik S Woman*, ein Netzwerk für Frauen in der Musikbranche kritisiert den schwindend geringen Anteil von 5,62 Prozent FLINTA+-Artists auf den Bühnen. FLINTA, das steht für Frauen, lesbische, intersexuellem non-binäre, trans- und asexuelle Menschen. »Das Bier bei Rock am Ring hat mehr Prozente als die Frauenquote«, fasst es Comedienne Carolin Kebekus treffend in ihrer DCKS-Comedyshow in der ARD zusammen.
Dass das eindeutig zu wenige FLINTA+-Künstler:innen sind, findet nicht nur sie, sondern viele andere ebenfalls. Unter ihnen auch die Band Kochkraft durch KMA und Johanna B. und Johanna K. vom Plattenlabel »Ladies & Ladys«. Ich werde auf sie aufmerksam, weil mir bei Instagram eine Aktion geteilt wird: »Schau mal, Sarah, das ist doch was für dich!« »Cock am Ring« lese ich, muss schmunzeln und schaue genauer hin. Die Band und das Label haben sich zusammengeschlossen und bringen gemeinsam einen Sampler mit 24 bekannten Rock-am-Ring-Klassikern raus – gecovert von FLINTA+-Bands und -Artists. Außerdem machen sie am 10. udn 11. September ein Musikfestival in Münster, in der Sputnikhalle.
Cock am Ring: Eine Ansage gegen Sexismus im Musikbiz
Sommer, Sonne, Festivals. Für viele gehört der Besuch einer der zahlreichen Open-Air-Veranstaltungen einfach zur Sommerzeit hinzu. Laut einer Umfrage des Reiseunternehmens Travelcircus ist das beliebteste deutschsprachige Festival nach wie vor das Rockmusik-Festival Rock am Ring (kurz:RaR). Mit über 90.000 verkauften Wochenendtickets im Jahr 2022 ist der Nürburgring in der Eifel Anfang Juni das Besuchsziel schlechthin für zahlreiche Fans, Musikliebhaber:innen und Bands. Mit den Hauptacts Greenday, Muse, Mâneskin und Volbeat blicken die Veranstalter auch in diesem Jahr auf ein beeindruckendes Line-Up zurück.
Kurzerhand schreibe ich dem Label und der Band, frage sie spontan für ein Interview an. Beide antworten sofort. Bei »Ladies & Ladys« schreibe ich mit Johanna Bauhus. Sie sagt mir ein Interview zu, ich schicke ihr meine Fragen. Und davon habe ich einige:
»Wir sind das erste offiziell sexistische Musiklabel der Welt- und streuen damit Salz auf den Spiegel.«
Sarah: Was ist Sexismus?
Johanna: scheiße
Sarah: Wieso gründet man ein sexistisches Musiklabel?
Johanna: Wir hatten zwei Sachen im Musikbiz beobachtet: Erstens: wir haben fast ausschließlich männlich gelesene Menschen auf den Bühnen und mit den Zügeln in der Hand gesehen. Zweitens: viele der wenigen nicht männlichen Menschen im Musikbiz waren müde zu sagen, sie seien feministisch. Der Begriff war von Menschen mit den Zügeln falsch und negativ konnotiert, heute zum Glück etwas weniger als damals. Im männlich dominierten Musikbusiness kommt man weiter wenn man sagt sexistisch zu sein, Kausalzusammenhang oder Ironie? Wir sind das erste offiziell sexistische Musiklabel der Welt- und streuen damit Salz auf den Spiegel.
Sarah: Seid ihr Feminist:innen? Ist das, was ihr macht feministisch?
Johanna: Ja und Ja
Sarah: Was muss man als Artist mitbringen, um euch als Label zu gewinnen?
Johanna: Man muss ultra cool sein und ein Studium an der Popakademie Mannheim absolviert haben. Außerdem am besten bereits 3 Alben veröffentlicht. Manchmal nehmen wir aber auch einfach was bei Universal abfällt.
Ladies & Ladys: »Musik wird nur von Musikern gemacht« ist der falsche Status Quo.
Sarah: Ihr arbeitet in eurem Label mit einer Psychologin zusammen. Warum?
Johanna: Weil Paula eine Freundin von uns ist, die auch Bock auf das Label hatte und außerdem ist sie sehr schlau. Schlau ist es z.B. die durchaus “eheähnliche Beziehung” innerhalb einer Band oder auch von Band zu Label zu pflegen und gut aufeinander acht zu geben. Paula ist unter anderem auch Paartherapeutin kann damit echte Profi-Tipps geben und Mediationsgespräche führen.
Sarah: Warum ist Marketing für junge FLINTA-Musiker:innen wichtiger als für cis-Männer?
Johanna: Marketing ist allgemein leider zu wichtig. Bitte rückbauen! Vermutlich sind FLINTA+ Personen den cis-männlichen Menschen zahlenmäßig überlegen, sie sind aber im Musikbiz deutlich unterrepräsentiert aus einem einzigen Grund: Sie werden nicht präsentiert. Das ist kein Zufall mehr, das ist Struktur und der falsche Status Quo »Musik wird nur von Musikern gemacht« bleibt in der Wahrnehmung der Akteurinnen wie z.B. Booker*innen, gültig.
Sarah: Wie nehmt ihr den aktuellen Umbruch in der Musikszene wahr?
Johanna: Umbruch? Wir nehmen allerdings z.B. durch unsere Arbeit mit “Safe The Dance”, einer Awareness-, Diversity- und Inklusionsagentur war, das immer mehr Veranstalter*innen Wert auf Werte legen. Außer eben Dreamhaus. Vielleicht melden die sich aber noch bei uns, wir haben mit Cock am Ring ja ein medienwirksames (das war richtig geil von den Medien, GaLiGrü) Gesprächsangebot geliefert, das würde uns sehr freuen
»Ladies & Ladys«
wurde 2016 von Johanna B. und Johanna K. gegründet. Sie bezeichnen ihr Label als erstes, offiziell sexistisches Plattenlabel weltweit. Sie wollen damit FLINTA+-Künstlerinnen fördern und im Musikbiz unterstützen.
Sarah: Ihr habt mal gesagt: „Bei anderen Labels steht Musik an erster Stelle, bei uns auch Anti Sexismus“ – warum müssen Musiklabels heute mehr sein als gute Musik?
Johanna: Niemand muss irgendwas. Wir machen das halt so.
»Der Weg in die Berufsmusikerei ist verdammt schmerzhaft«
Sarah: Ich habe auf Instagram unter einem Festival einen Kommentar gelesen, in dem eine junge Frauenband abgesagt hat, weil ihnen das Line-up nicht divers genug war. Ist das das richtige Statement?
Johanna: Richtig und falsch sind hier die komplett falschen Kategorien. Jede Band soll mit nem Line-Up, das ihr nicht gefällt, umgehen können, wie sie will.
Sarah: Warum solltet ihr größer sein als … sagen wir: SONY?
Johanna: Weil wir geiler sind.
Sarah: Welche Strukturen würdet ihr im Musikbusiness ändern, wenn ihr könntet?
Johanna: Das Musikbusiness macht Geld, aber es kommt nicht dort an wo es z.B. Labels wie uns und unseren Künstlerinnen etwas nützt. Von den Einnahmen durch Streamingdienste können wir uns alle maximal ne Brezel kaufen. Man sollte Spotify/Amazon etc. abschaffen oder dazu zwingen Künstlerinnen ordentlich zu entlohnen. Außerdem brauchen wir projektunabhängige/strukturelle
Förderung von kleinen Labels, Veranstalterinnen und Bands. Die Hürden für diese Fördertöpfe müssen gesenkt werden in Bezug auf den Bürokratieaufwand, unnütze Altersgrenzen, zu hohe Erwartungen an das Projekt für zu wenig Fördersumme.
»Wir brauchen weniger Fler und Helene Fischer«
Generell sollte die eigene Arbeitskraft häufiger auch förderfähig sein. Man hantiert ständig mit riesigen Summen und gibt’s dem Presswerk und der Filmfrau und dem Fotografen– und das ist auch super, aber am Ende des Tages hast du als Künstlerin die ganze Albumproduktion durch for free gearbeitet. Und dann hast du deine Miete noch nicht bezahlt und warst auch noch nicht bei Rewe einkaufen, du
machst also noch irgend einen Job oder zwei, um dich über Wasser zu halten. Der Weg in die
Berufsmusikerei ist verdammt schmerzhaft- und um zum Punkt zurück zu kommen- ohne Fördertöpfe meist gar nicht möglich. Deswegen sind wir auch generell für die musikalische Umerziehung der Welt.
Wir brauchen weniger Fler und Helene Fischer und würden die 1Live Musikredaktion komplett
entlassen und neu besetzen (dasselbe wahrscheinlich bei 70 Prozent aller anderen Radiostationen).
Schön wäre auch Instagram zu entmachten. Digitales- Selfpromoting sollte nicht das
ausschlaggebende, über “Erfolg und Misserfolg”-entscheidende, Talent von Künstler*innen sein.
MEhr Geld GeNEerell!!!
Sarah: Was können Männer tun, um Cock am Ring zu unterstützen?
Johanna: Tickets kaufen. Nett sein. Musik hören und Musik teilen. Nicht mehr so oft wegschauen, sowie ihren Freunden sagen, wenn sie doof sind.
Antworten gaben Johanna K. und Johanna B. vom Ladies & Ladys Label – an dieser Stelle meinen herzlichen Dank für eure Zeit und die Beantwortung der Fragen!
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