Lidl testet den Eco-Score – Echt oder Greenwashing?

Bei den zahlreichen Bio-, Vegan-, Cruelty-free- und Fairtrade-Kennzeichnungen, die mittlerweile nicht wenige unserer Alltagsprodukte in Drogerie- und Supermärkten zieren, kann man sich schon mal im Dschungel der Gütesiegel verlieren. Jetzt kündigt Lidl mit dem Eco-Score eine Lösung an, die das Problem ein für alle mal lösen könnte.

Ab Montag den 07. Juni sollen Verbraucher:innen in allen Berliner Filialen des Discounters die Möglichkeit haben, ihre Produkte ganz nach den damit verbundenen Umweltauswirkungen auszuwählen. Der Eco-Score teilt laut Lidl rund 140 Tee-, Kaffee- und Molkereiartikeln eine der fünf Stufen von A bis E zu, wobei A die beste und E die schlechteste Note ist .

Welche Kriterien fließen in den Eco-Sore?

Laut Lidl haben zehn französische Unternehmen an der Entwicklung des Eco-Scores mitgewirkt. Seine Berechnung setzt sich dabei aus zwei Kernkomponenten zusammen: Zum einen aus der Umweltwirkung des Produkts auf Basis des „Product Environmental Footprint (PEF)“ und zum anderen aus weiteren Nachhaltigkeitsfaktoren wie der Herkunft oder der Verpackung, für die anschließend Punkte hinzugefügt oder abgezogen werden.

Screenshot aus einer Lidl-Präsentation zum Eco-Score

Erweiterung des Produkt Environmental Footprints

Der PEF wurde von der EU-Kommission entwickelt und soll die Wirkung eines Produkts auf die Umwelt unter Berücksichtigung seines gesamten Lebenszyklus messbar machen. Durch die bessere Vergleichbarkeit dieses Standards sollen Unternehmen dazu angehalten werden, umweltfreundliche Praktiken in ihr wirtschaftliches Handeln zu integrieren. Hierzu stützt sich der PEF auf zahlreiche Wirkungskategorien wie Klimawandel, Wasserverbrauch oder Versauerung. Am Ende steht ein Score von 0 bis 100, der den ökologischen Fußabdruck des jeweiligen Artikels ausdrücken soll.

Wenngleich es bereits Methodiken dieser Art gibt (z.B. die Ökobilanz (LCA)), herrschen hier noch oft Interpretationsspielräume, die der PEF durch ein strengeres Regelwerk vermeiden soll. Für jede Kategorie wurden daher mit Unternehmen verschiedener Branchen entsprechende Vorschriften entwickelt, die zu einer besseren Vergleichbarkeit der Ergebnisse führen sollen und den PEF in Zukunft zu einem anerkannten, europaweiten Standard machen sollen.

Der Eco-Score erweitert den Kriterienkatalog um weitere Aspekte wie bspw. die erhaltenen Zertifikate (Fairtrade, Bio, …), die Wiederverwendbarkeit der Verpackung oder auch die Auswirkungen des Produktes auf die Biodiversität. Lidl kritisiert zudem, dass der PEF bestimmte negative Auswirkungen wie den Einsatz von Pestiziden oder Antibiotika und bestimmte positive Auswirkungen auf das Tierwohl wie Weiden oder Bergwiesen nicht berücksichtigt. Auch die Unterscheidung zwischen Produktions- und Anbaumethoden sei nicht gegeben, wodurch wohl Lebensmittel aus der konventionellen Landwirtschaft teilweise bessere Scores erhalten als Alternativen aus biologischem Anbau. Diese Minuspunkte versucht der Eco-Score durch seine Erweiterungen auszugleichen. Diese basieren beispielsweise auf dem Environmental Performance Index der Yale Columbia University, der die Umweltpoltitik des Herkunftslandes bewertet oder auf anderen Nachhaltigkeitsindikatoren, die viele von uns bereits aus ihrer alltäglichen Einkaufspraxis kennen.

Die Nachhaltigkeitslabel im Eco-Score

In den Eco-Score werden laut Lidl folgende Nachhaltigkeitslabel mit aufgenommen:
EU Bio, Fairtrade, ASC, MSC, Rainforest Alliance, UTZ.

Dabei wird das EU-Bio-Siegel auch gerne als „Bio light“ bezeichnet. Die Vorschriften für beispielsweise Tierwohl sind laut BioHandel sehr dehnbar, was eine Massentierhaltung unter EU-Bio-Zertifizierung ermöglicht. Häufig haben die Tiere aus EU-Bio-Betrieben nur minimal bessere Bedingungen als Tiere aus konventioneller Haltung. Doch dies sind nicht die einzigen Stimmen, die sich gegen bekannte Nachhaltigkeitssiegel wenden. So beschreibt der Kaffee-Versandhandel Happy Coffee, dass bei Produkten mit mehreren Zutaten lediglich 20% der Zutaten fair gehandelt sein müssen, um das Fairtrade-Siegel tragen zu dürfen. Der Rest kann, sofern nicht faitrade verfügbar, auch konventioneller Natur sein.

EU-Bio-Siegel hält nicht, was es verspricht. Tierwohl immer noch kleingeschrieben
So hoffen wir, dass Tiere gehalten werden, wenn Bio draufsteht. Leider ist das nicht immer der Fall.
(Bild: Wim van ‚t Einde on Unsplash)

Auch ASC- und MSC-Siegel stehen regelmäßig unter kritischem Beschuss. So habe Greenpeace bereits mehrere Meeresfisch-Zuchtfarmen entdeckt, bei denen trotz Siegel problematische Bedingungen wie Antibiotika, Chemikalien oder gentechnisch verändertes Futtermittel herrschten. Auf diese Standards aufzubauen und hierdurch Konsumentscheidungen zu beeinflussen, könne langfristig nicht zu einer Entlastung der Meere beitragen.

Das Problem dieser Siegel ist, dass sie bei Konsument:innen dennoch ein gutes Gefühl hinterlassen und verschleiern, dass eben nicht das gesamte Produkt Bio- oder Fairtrade-Qualitäten aufweist oder, dass die Richtlinien, um dieses Zertifikat zu erhalten, geringer sind, als es Konsument:innen erwarten würden.

Das Fazit zum Eco-Score?

Der Eco-Score beruht zu einem großen Teil auf dem von der EU-Kommission entwickelten PEF. Allein hierdurch erhält er für informierte Verbraucher:innen ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit und kann als Orientierungshilfe dienen. Dennoch reichen die Untersuchungen in diesem Artikel leider nicht aus, um wirklich tiefgreifend in die einzelnen Bewertungsfaktoren des Eco-Scores eintauchen zu können. Der Eco-Score ist sehr komplex und basiert auf mehreren anderen Indizes, die wiederum eine Vielzahl an Indikatoren und Kriterien zur Bewertung heranführen. Das Ampelsystem ist daher zwar eine gute Visualisierung des letztendlichen Ergebnisses. Für Konsument:innen, die sich wirklich tiefgreifend informieren wollen, ist es allerdings schwierig, sich durch die Fülle an Informationen und zugrundeliegenden anderen Bewertungsmaßstäben durchzuarbeiten, um sich ein besseres Bild von der tatsächlichen Bewertung machen zu können.

So ist es zum Beispiel fragwürdig, wie die angeführten Nachhaltigkeitszertifikate als gute Grundlage für eine Bewertung angesehen werden können, wenn sie teilweise sehr große Qualitätsmängel aufweisen. Einige Richtlinien sind noch immer viel zu locker gesetzt, um wirklich als tier-, umwelt, oder ressourcenschonend durchgehen zu können und haben eindeutig Nachholbedarf. Es bleibt daher abzuwarten, wie Lidl die Richtlinien des Eco-Scores weiter nach außen kommuniziert. Denn zur Offenheit in der Kommunikation gehört nicht die Veröffentlichung tausender undurchsichtiger Richtlinien und Kriterien (wie es andere Institutionen handhaben), sondern die kundenorientierte Darstellung dieser Informationen auf eine verständliche Art und Weise, die es den Konsument:innen ermöglicht, wirklich zu verstehen, was hinter dem Eco-Score steckt.

All die Unsicherheit dahingestellt: Der Eco-Score ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung, hin zu einem bewussteren Konsumverhalten. Spannend wäre es, in diesem Zusammenhang zu untersuchen, ob der Eco-Score wirklich zu nachhaltigeren Kaufgewohnheiten führen wird und welche Produkte besonders von diesen Entwicklungen betroffen sein könnten. Ich jedenfalls hoffe, dass sich solche Standards schnell auch auf Rewe, Edeka und co. ausweiten, da ich leider keinen Lidl in meiner Umgebung habe und mich nach wie vor durch den Siegel-Dschungel wühlen muss.

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Quelle:
Literatur: Lidl, Lidl-Präsentation, ifu Hamburg GmbH, Umweltbundesamt, Yale Center for Environmental Law & Policy, Wir essen gesund, BioHandel, Happy Coffee, Greenpeace
Beitragsbild: Lidl

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Lina Pierdziwol

Lina hat ihre Begeisterung für die Welt der Medien und der Kommunikation während ihres dualen Bachelors entdeckt. Hier war sie zunächst im B2B-Eventmarketing tätig, fand aber während ihrer Bachelorarbeit schnell Gefallen an den Bereichen des Online Marketings. Nach ihrem Abschluss hat sie sich für den MuK-Master an der SRH entschieden und arbeitet seitdem parallel in einer Digitalagentur. Hier konzentriert sie sich vor allem auf Themen wie SEO und Content Management und befasst sich gerne in den gängigen Trends der digitalen Kommunikation.