Filmkritik: JOKER

Es gibt wohl selten einen Film, der seine Kritiker und Zuschauer so sehr spaltet, wie der neue „Joker“ von Regisseur Todd Phillips. Während die eine Hälfte den mit dem Goldenen Löwen prämierten Film als Meisterwerk feiert, schüttelt die andere Hälfte den Kopf und bezeichnet den Film als flache Psychoanalyse, langweilig oder sogar als gewaltverherrlichend.

Von Arthur Fleck zum Joker

Gotham in den 80er Jahren: Die Müllabfuhr streikt und die Schere zwischen Arm und reich wird immer größer. Arthur Fleck (Joaquin Phoenix), ein abgemargerter Mann Mitte 30, arbeitet als Clown auf der Strasse und in Krankenhäusern, um sich selbst und seine Mutter, bei der er immer noch wohnt, über Wasser zu halten. Eine Vaterfigur hatte Arthur nie und sucht sie sich in einem TV-Talkshow Host (Robert DeNiro), dessen Sendung er immer mit seiner Mutter zusammen ansieht. „Happy“ nennt sie ihren Sohn, denn sein größter Wunsch ist es Standup-Comedian zu werden und anderen Menschen Freude zu schenken.

Selbst hat Arthur allerdings kaum etwas zu lachen und wenn er lacht, dann eher ungewollt, in Stresssituationen. Er trägt immer ein kleines Kärtchen mit sich, welches misstrauischen Mitbürgern vermitteln soll, dass er an einer Krankheit leidet, die ihm diese unkontrollierten Lachausbrüche beschert. Er wird überfallen und gemobbt und als die Stadt obendrein jegliche Gelder für Sozialarbeiter streicht, bleibt ihm niemand mehr, der sich seiner psychischen Probleme annimmt und dafür sorgt, dass er seine Medikamente bekommt.

Als ein Freund ihm dann zur Selbstverteidigung vor weiteren Übergriffen einen Revolver in die Hand drückt, tritt Arthur mit einer Tat – als Clown verkleidet – unabsichtlich eine neue Bewegung los. „Kill the Rich“ tötet die Reichen, kann man in den Zeitungen lesen und immer mehr Leute fangen an, als Clowns verkleidet gegen das Establishment zu protestieren. Die Abwärtsspirale beginnt und Arthur verwandelt sich in den Joker, der sich selbst zwar als unpolitisch bezeichnet, aber gleichzeitig zur Ikone einer neuen, anarchischen und gewaltbereiten, politischen Bewegung im Klassenkampf der Straßen Gothams wird.

Mehr als eine Charakterstudie

Viele Kritiker bemängeln, dass zu viel erklärt wird, dass der Joker kein Mysterium mehr bleibt, alles von einem Ödipus-Komplex bis hin zu Misshandlungen in seiner Kindheit aufgedeckt wird. Natürlich ist der Film nicht spannend im klassischen Sinne und hätte den ein oder anderen Überraschungsmoment im Drehbuch vertragen können, allerdings sollte man sich fragen, wie relevant das Kriterium der Spannung überhaupt sein kann, wissen wir doch alle von vornherein, zu welchem abscheulichen Bösewicht sich Arthur Fleck entwickeln wird.

Viel interessanter an der von Joaquin Phoenix so eindrücklich gespielten Figur ist doch die Analyse des „Wieso?“, wobei zwischen Realität und Illusion immer noch Einiges an Interpretationsfreiraum gelassen wird, gerade was Arthurs Kindheit anbelangt. Die vielleicht für den ein oder anderen übererklärten Momente, die den Zuschauer detailgenau wissen lassen, wieso Arthur letztendlich zum Joker wird, wecken Mitgefühl, was vielleicht zum interessantesten und auch polarisierendsten Punkt dieses Films führt:

Darf man mit einer Figur, die offensichtlich psychisch krank ist und solche entsetzlichen Gewalttaten begeht, wie der Joker, mitfiebern, ja gar Empathie empfinden? JA! – Denn das ist die einzig wirklich menschliche Reaktion. Allerdings muss hierbei zwischen zwei Dingen ganz klar unterschieden werden: 1. Der Film liefert eine Erklärung, wieso Arthur handelt, wie er handelt, was dazu führt, dass man es nachvollziehen kann, wenn gleich man selbst als gesunder Mensch nicht so handeln würde. 2. Eine Erklärung ist niemals gleichzusetzen mit einer Entschuldigung. Zu keinem Zeitpunkt werden Arthurs Taten als „gut“ oder „richtig“ von den Filmemachern herausgestellt. Mitgefühl für einen so abstrusen Charakter zu empfinden ist also nicht verwerflich, sondern wirft eher die nächste Frage auf: Wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Betrachtet man das größere Bild, dann geht es in dem Film nicht nur um die Charakterstudie des Jokers, sondern vielmehr einer ganzen Gesellschaft. Denn, wenn man sich am Ende des Films fast schon ein ganz kleines bisschen freut, dass Arthur jetzt als Joker und Anführer einer neuen Revolution gefeiert wird, dann liegt das weniger daran, dass man dessen Gräueltaten gutheisst, sondern vielmehr daran, dass Arthur Fleck in einem System lebt, das auf allen Ebenen versagt hat ihm zu helfen, obwohl er so offensichtlich Hilfe gebraucht hätte. Ein System, das noch grausamer erscheint, als das Biest, dass es selbst erschaffen hat.

Ein Produkt seiner Zeit

Der neue Joker ist ein Produkt seiner Zeit, genauso wie es die Versionen vor ihm waren: Jack Nicholson als sehr Comic-hafte, bunte und lustige Version, Ende der 80er. Heath Ledger, dessen Interpretation in „the Dark Knight“ nach 9/11 und der anhaltenden Debatte über Terrorismus vor allem eins wollte: Chaos stiften. Und nun Joaquin Phoenix, dessen Joker von der Trump-Ära geprägt ist. Sei es im Hinblick auf den offensichtlichen Klassenkampf in Gotham und der Ignoranz des Establishments oder auf die überheblichen Wallstreet-Männer, die ganz klischeehaft eine Frau in der U-Bahn belästigen.

Fazit: Der Film ist vielschichtiger, als so mancher auf den ersten Blick erkennen mag und auch, wenn der Film so sehr polarisiert, wie das politische Klima in dem wir uns derzeit befinden und ein paar Punkte im Plot einen innovativeren Ansatz hätten vertragen können, sollte man ihn gesehen haben. Die sehr gelungene Filmmusik von Komponistin Hildur Guðnadóttir sowie die Bildgestaltung von Kameramann Lawrence Sher, welche sicherlich eine Hommage an Martin Scorseses „Taxi Driver“ und „The King of Comedy“ ist, runden das Gesamtbild erfolgreich ab. Dass Todd Phillips es geschafft hat in einem so düsteren Film auch komödiantische Momente, mit dem richtigen Timing zu inszenieren, darf ausserdem nicht unterschätzt werden. Star des Films ist und bleibt aber ganz klar Joaquin Phoenix selbst, dessen unheimliches Lachen und gekonnte Tanzschritte noch lange in Erinnerung bleiben werden. Man darf gespannt sein, ob ihm seine Performance eine Golden Globe und Oscar Nominierung bescheren werden.

Quelle: https://www.imdb.com/title/tt0007286456/

Emely Hardt

Emely Alexandra Hardt entschied sich, dank eines Vollstipendiums, während ihrer Arbeit als Tänzerin und Choreografin, für ein Fernstudium an der Srh Riedlingen. Sie war bereits an internationalen Filmproduktionen, unter anderem mit Oscar Preisträgerin Brie Larson und Donald Sutherland, beteiligt und gründete im Mai 2017 ihre eigene Produktionsfirma "Smart Hardt". Zusätzlich ist sie seit April 2017 in der In-House Produktion der Constantin Film München tätig.