Der Film, das Video und ihre Bedeutung. Regisseurin Anastasja Black spricht im Interview mit dem MuK-Blog darüber, dass Bewegbild die Zukunft ist.
Johanna Karajan: Liebe Anja, vielen Dank, dass du dich heute bereit erklärt hast, ein Interview für den MuK-Blog zu geben. Ich freue mich sehr, mit dir sprechen zu dürfen und unseren Leser*innen die Bedeutung des Mediums Video und Cinematography (Filmemachen) näher bringen zu können. Zu Beginn gleich die Frage: Du hast deinen beruflichen Werdegang mit einem Studium in Modedesign eingeschlagen, um in die Fußstapfen deiner Mutter [Liz Malraux] zu treten und hast dich dann laut eigener Aussage [auf deinem LinkedIn Profil] während des Studiums entschieden, dich dem Film zu widmen. Würdest du uns zunächst erzählen, wie es genau dazu gekommen ist? Was hat dich dazu motiviert, Cinematography zu studieren und inwiefern hat es gegenüber der Mode, mit der du aufgewachsen bist, gepunktet?
Anastasja Black: Als ich Mode studiert habe, habe ich mir eine kleine DSLR [Kamera, Anm. d. Red.] gekauft. Das war die Canon 550D [hier könnt ihr sie euch ansehen. Anm. d. Red.]. Jede*r Filmemacher*in, der*die diesen Artikel liest, weiß wovon ich Rede, weil gefühlt, jede*r diese Kamera hatte und jeder damit gestartet hat [die Regisseurin trägt ein breites Lächeln im Gesicht, als sie davon spricht. Anm. d. Red.], weil das die einzige bezahlbare Kamera zu der Zeit war. Da bin ich dann auf, damals nannte man sie noch Blogger, heutzutage würde man sie wahrscheinlich Influencer nennen [die Unterscheidung könnt ihr hier nachlesen. Anm. d. Red.], zugegangen und habe sie einfach gefragt: „Hey, ich feiere deinen Style! Können wir ein Lookbook-Video zusammen drehen?“.
Das haben super viele Leute in London gefeiert. Und dann haben wir immer wieder zusammen gedreht. Mit der Zeit, wo es dann immer mehr und mehr wurde, sind dann tatsächlich auch Modelabels auf mich zugekommen, dass ich Videos für sie mache. Ich fand das toll! Ich hatte von Anfang an so eine Leidenschaft zum Filmen, dass ich teilweise nach dem Dreh bis 6:00 oder 7:00 Uhr morgens gesessen und das Ding in einem Rutsch geschnitten habe. Das hat mir tatsächlich so viel Spaß gemacht. In der Mode fehlte das irgendwie ein bisschen. Wenn ich das so sagen darf, ich glaube, ich war nie schlecht darin, aber mir hat diese Leidenschaft gefehlt. Leidenschaft im Sinne von: „Okay ich kann jetzt zwölf Stunden am Stück, ein Teil designen und zuschneiden und nähen.“
Das habe ich im Film wiedergefunden. Egal, ob es die Postproduktion war, der Dreh selbst oder sogar die Drehproduktion. Die Location raussuchen oder mit den Leuten in Kontakt bleiben und sich irgend eine Shotlist ausdenken. Da war wirklich die Leidenschaft von Anfang an drin.
Filme zu machen, erfordert aber auch ein gewisses Talent für Technik und ein Gespür für die Inszenierung. Das ist mit viel Zeit und Aufwand verbunden. Wenn du bis 6:00 oder 7:00 Uhr morgens an deinen Filmen gesessen hast, wann hast du immer gestartet, dich an sie dranzusetzen?
Ich glaube, man kann die Filme damals gar nicht mehr mit den Filmen heute vergleichen. Es ist ein komplett anderes Level. Damals war es eine One-Woman-Show. Ich gehe einfach raus, wir haben kein Licht und machen alles einfach so, wie es ist. Von der ersten Idee bis zur Fertigstellung waren es, ca. drei bis vier Tage. Heutzutage arbeiten wir aber mit einer kompletten Crew, mit Licht, mit richtigen Produzent*innen und der Umfang ist um einiges größer. Hier reden wir von Monaten.
Schneidest du die Filme denn immer noch selber?
Ja! Das hängt aber auch von der Größe des Projektes ab. Wenn es mehrere Videos sein müssen, dann hole ich mir auch noch externe Hilfe dazu. Aber eigentlich schneide ich sie selber.
Und wie lange dauert es, einen Film zu schneiden?
[Überlegt, die pauschale Einschätzung fällt deutlich schwer. Anm. d. Red.] Sagen wir, wir haben einen Film, der eine Minute lang sein soll, bspw. für die sozialen Medien, dann fangen wir an mit dem Rohschnitt. Der Rohschnitt müsste innerhalb von zwei, drei Tagen fertig sein. Dann haben wir den*die Musikproduzent*in, der*die dazu die Musik komponiert, zuschneidet oder Soundeffekte macht. Dann würde ich sagen, das dauert so ca. zwei Tage. Und dann haben wir das Grading, was auch noch dazukommt. Das dauert dann auch im besten Fall zwei Tage. Also für eine Minute haben wir eine Woche Arbeit ungefähr.
Hattest du, bevor du den Weg zum Film eingeschlagen hast, bereits Erfahrungen mit der Kamera und dem Filmemachen?
Also Erfahrung, nicht wirklich. Das würde ich nicht so sagen. Erfahrung kann man erst sammeln, wenn man auf großen Sets ist. Das, was ich als One-Woman-Show gemacht habe, würde ich nicht Erfahrung nennen, weil es mit dem Umfang, den wir jetzt machen, nichts zu tun hat.
So bist du zwar nicht direkt in die Fußstapfen deiner Mutter getreten, hast aber dennoch die Möglichkeit, mit ihr hinter der Kamera zusammenzuarbeiten. Wenn man sich allerdings dein Instagram-Profil [hier @anastasjablack] und deine allgemeine Online-Präsenz ansieht, dann stellt man schnell fest, dass du doch sehr fotogen bist. Es gibt z.B. Kampagnen-Videos von dem Modelabel deiner Mutter, bei dem du vor der Kamera modelst. Hättest du vor diesem Hintergrund nicht lieber vor der Kamera gearbeitet?
Nein. Tatsächlich bin ich lieber Teil von der Kreation hinter der Kamera. Mir macht es unglaublichen Spaß, ein Konzept zu entwickeln oder ein Brand neu darzustellen, die sagen „ja, vielleicht ist unser Image gerade ein bisschen veraltet, wir brauchen ein junges Feeling.“, und ich liebe diesen Teil des Prozesses. Einfach dazu Konzept entwickeln, die Shotlist zu schreiben, das Casting, das Styling. Das macht mir so viel Spaß. Aber ich muss dazu auch sagen, dass der Teil, wo ich selber vor der Kamera stand, mir unglaublich geholfen hat, jetzt die Models in Szene zu setzen, weil ich weiß, welches Posing wie aussieht oder welches Posing ein Outfit super darstellen kann. Für meine Regie hat es mir super geholfen. Aber ich sehe mich jetzt nicht unbedingt nochmal vor der Kamera. Hobbymäßig vielleicht ab und zu, aber professionell bleibe ich dann tatsächlich lieber hinter der Kamera.
Wie wichtig ist es für eine*n Filmemacher*in oder aber auch eine*n Fotograf*in, sich selbst gut vor der Kamera darstellen zu können? Die Fotos und Videos werden ja von jemand anderem und nicht von einem selbst gemacht…
Ich finde, es ist gar nicht so wichtig, dass man selber gut vor der Kamera ist. Das wichtige ist tatsächlich die Kommunikation. Wenn man das richtig kommunizieren kann, wie man die Models inszeniert haben möchte, dann reicht das auch. Es gibt da aber auch ganz viele verschiedene Bereiche: In Spielfilmen setzt du die Schauspieler*innen ganz anders in Szene als bei einem Mode-Film oder einem Musikvideo. Da gibt es so viele verschiedene Bereiche. Dann würde ich schon sagen, dass die sich voneinander unterscheiden. Für einen Mode-Film kann es hilfreich sein, vor der Kamera zu stehen, aber ich meine ein*e Regisseur*in muss jetzt nicht unbedingt ein*e gute*r Schauspieler*in sein. Ich meine, ja, es ist hilfreich, aber es ist jetzt kein Muss.
Und was ist das Tolle daran, andere Menschen in Szene zu setzen?
Das hängt natürlich wieder ganz stark vom Projekt ab. Wenn wir jetzt einen Film haben – das durften wir z.B. auch für Doc Martins machen – da hatten wir Madanii und Llucid, super talentierte Musiker*innen(!) und die dann in Szene zu setzen, das hat unglaublich viel Spaß gemacht, wenn man deren Leben mitnehmen darf. Das war ein Film im Doku-Style und ich fand das super interessant, sie vor der Kamera zu haben, weil sie sich selbst spielen mussten. Das war ja keine Rolle, die sie übernommen haben. Und ich finde das interessant, einfach dann deren Charakter real vor der Kamera zu zeigen. Das finde ich super inspirierend.
Und neigen die Leute dazu, sich zu verstellen, wenn sie wissen, dass sie einen Film über ihr Leben drehen? Halten sie Emotionen zurück und denken, dass sie alles perfekt darstellen müssen oder sind sie dennoch ganz sie selbst?
Ja, das ist halt die Aufgabe eines*r guten Regisseur*in, dass sie sich nicht verstellen. Dass sie sich so wohl in ihrer eigenen Haut fühlen, dass sie dann gar nicht mehr merken „ah ja, hier ist eine Kamera… ugh… wie improvisiere ich dann jetzt? Wie laufe ich denn? Und wie sehe ich aus?“, das ist dann die Herausforderung. Aber bis jetzt muss ich sagen, ist das immer ganz gut gelungen. Die haben sich immer sehr wohl gefühlt vor der Kamera. Und es sah auch einfach natürlich aus.
Jetzt hebt sich der Film sehr von der Fotografie ab. Wann und wofür lohnt es sich ein Video zu drehen und wie sollte man vorgehen? Inwiefern ist ein Film vielleicht besser geeignet als ein Foto?
Ich würde sagen, dass das Bewegbild die Zukunft ist. Egal in welcher Form, das Bewegbild kann einfach so viele Informationen übertragen, kann die Brand richtig darstellen, man kann sich als Person nochmal anders positionieren. Alleine wenn wir auf die Influencer*innen schauen, diese Kontakt im Bewegbild, in Storys, die Reels, IGTV… da gibt es mittlerweile so viele Formate. Also ich finde beides wichtig. Fotos und Videos sind wichtig, aber du kannst einfach um einiges mehr Material in einem Video oder Film verpacken, viel mehr Informationen. Also wenn du wirklich eine*n potenzielle*n Kund*in hast, wirst du ihm*ihr ja ein Video geben, das man sieht. Ein Foto, glaube ich, kann immer noch mehr manipuliert werden als ein Video und ich glaube das gibt dem*der Kund*in mehr Sicherheit, dass das Produkt, das er*sie kaufen möchte, einfach das passende ist oder halt nicht.
Greifst du selbst jedes Genre auf oder drehst du nur bestimmte Formate von Filmen? Wir haben bereits gehört, dass du zahlreiche Formate von Filmen gedreht hast: fürs Social Media, Mode-Filme, Musikvideos, Kampagnen… gibt es etwas, das du nicht machst?
[Nickt] Spielfilm und inszenierte Sachen. Also: Kurzfilme und Spielfilme mache ich jetzt nicht. Ich habe es probiert, ich habe es hinter mir, aber ich würde es jetzt nicht mein Lieblingsgenre nennen. Ich liebe Werbung, Mode und ich liebe Musikvideos, obwohl ich sagen muss, ich würde mich jetzt einfach gerne gezielt mehr auf die Mode fokussieren. Da nutze ich mein Wissen, was ich mir da von meiner Mutter aneignen durfte, vom Studium das ganze Wissen da auf den Film zu übertragen, bietet sich in dem Sinne dann einfach an.
Ich selber als Modedesignerin würde es einfach wertschätzen, eine Regisseurin an der Hand zu haben, die sich auch mit den Stoffen oder den Schnitten auskennt oder welche Details an welchem Outfit gerade einfach wichtig sind oder wie ich das Model richtig positioniere, damit es auch wirkt. Also da gibt es auch so viel. Und ich finde Mode-Filme auch einfach cool, weil man kann sich so kreativ ausleben. Da gibt es wirklich keine Grenzen. Man kann da alles machen und es ist okay. Deswegen sehe ich mich zukünftig wirklich als Mode-Film-Regisseurin. Auf jeden Fall der kreative Bereich!
Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag bei dir aus? Arbeitest du in der Woche oder eher am Wochenende? Bearbeitest du immer ein Projekt nach dem anderen oder gibt es Überschneidungen? Wie lange dauert ein Projekt und wie kommen die Menschen oder Labels auf dich zu?
Was ich an meinem Job liebe ist, dass ich keine Routine habe. Ich brauche immer Abwechslung, es muss immer etwas anderes sein und das bietet sich bei meinem Job perfekt an. Typisch ist, dass ich morgens ins Büro fahre, da Postproduktion in der meisten Zeit mache und die Kommunikation mit dem*der Kund*in. Wenn wir dann ein Projekt haben, dann natürlich auch die Konzeptentwicklung, das Konzept preproduzieren von Shotlist, Location suchen…
Abhängig vom Projekt hole ich mir dann die Crew von außen heran. Woran wir das letzte Jahr auch gearbeitet haben, ist die Zusammenstellung von den perfekten Team-Members für spezifische Anfragen. Also wenn wir eine Sportwerbung haben, dann haben wir dieses Team, weil bei diesem Produzenten seine Stärke vielleicht ist, die Location heranzubekomme und er Wissen im Sportbereich hat und der Kameramann, der super in bewegten Shots ist also z.B. von einem Auto. Dann haben wir einen für die Mode, der sich sehr gut mit Licht, komplementärem Licht und so einer Ästhetik auskennt, und, und, und.
Deswegen fragen wir von der Anfrage an immer dieses Team an, welches perfekt dafür ist und dann bin ich in einer engen Absprache mit dem Produzenten und dem Kameramann: „Okay, wir haben jetzt das Budget, was machen wir jetzt mit diesem Budget? Wie viele Drehtage können wir einplanen? Styling, Make-Up-Artist, Locations und, und, und…“, dann bereite ich einen Pitch mit den Informationen, die ich habe, vor, in dem ein aufgerundetes Skript drinsteht, also ohne Details aber so ungefähr, damit man weiß, was im Film passieren soll. Mit Referenzfotos und Locations u.s.w. Dann wird das vom*von der Kund*in abgenommen und dann gehen wir ins Detail. Da bereite ich ein richtiges Skript vor, einen Kundenbericht, eine Shotlist mit den einzelnen Kameraeinstellungen und den Winkeln. Das ist alles auch sehr detailliert. Und dann drehen wir das. Dann finden wir einen Termin, der allen passt, drehen das und danach geht es in die Postproduktion.
Abhängig vom Aufwand, wie viele Videos am Ende produziert werden müssen, schneide ich das entweder alleine oder hole mir einen externen Editor heran.
Die Kund*innen schreiben mich an, weil sie mich auf meinen sozialen Medien finden oder auf Plattformen, die für Kreative geschaffen sind, weil sie meinen Stil einfach sehr gerne mögen, und dann hole ich mir die Leute noch heran.
Zum Schluss noch die Frage: In unserem letzten Interview für den MuK-Blog hat der Autor Abdullah Doubli [komplettes Interview hier] das passende Stichwort eingeworfen, dass wenn er selbst Filme machen könnte er genauso gut Filmemacher anstatt Autor gewesen wäre. Was würdest du jemandem raten, der die Branche wechseln möchte? Ist es schwierig sich beruflich umzuorientieren? Worauf muss man achten, wenn man ganz speziell in das Filmemachen einsteigen möchte? Was sollte man mitbringen?
Geduld und Leidenschaft, um viel Zeit darin investieren zu können und sich das Wissen anzueignen. Man muss Bücher lesen und Videos schauen! Wir Leben in einer Zeit, wo es nie einfacher war, sich Wissen anzueignen, für umsonst oder wirklich ganz wenig Geld. Deswegen sollte man sich davon Nutzen machen und sich mit Leuten umgeben, die einen motivieren und von denen man auch lernen kann. Das finde ich sehr, sehr wichtig. Die Leute, das ist tatsächlich das A und O, finde ich.
Wenn es dann auch bedeutet, dass man am Anfang an ein Set kommen muss, wo die Bezahlung vielleicht nicht so gut ist, oder man vielleicht sogar umsonst arbeiten muss, ist das in der Branche leider so, dann nimm das mit! Mach es, aber gehe aus jedem Set mit jemandem raus, von dem du etwas lernen kannst und klammere dich an diese Person, damit sie dich zu weiteren Jobs mitnimmt, und mache deinen Job gut! Stehe nicht in einer Ecke mit dem Telefon in der Hand und ignoriere die ganzen Leute. Mach deinen Job richtig! Ich finde das ist so wichtig. Und sei eine umgängliche Person.
Die gebürtige Polin mit vollem Namen Anja-Anastasja Mallert hat an einer Berliner Akademie eine zweijährige Ausbildung als Cinematographer und Editor gemacht und dies mit einem Diplom beurkundet bekommen. Ob ihr diese theorielastige Ausbildung geholfen hat, verneint sie im Interview. Auf die Frage, ob sie es bereut, antwortet sie mit einem vielleicht, da sie ironischerweise jetzt Regisseurin geworden ist. Ihre Empfehlung an alle, die den Artikel lesen, ist, ein Praktikum bei einem*r guten Regisseur*in oder Kameramann*frau zu machen.
Im Gespräch stellte sich außerdem heraus, dass Anastasja Black nicht mehr als One-Woman-Show auftritt, wie sie es in ihren Anfängen 2014 gemacht hat, seitdem sie professionell unterwegs ist. Zuvor hat sie auch für privat auf Veranstaltungen gedreht. Dies hat sie auch verworfen, um sich ganz ihrer Karriere als Regisseurin zu widmen und sich darauf zu konzentrieren.
Ich bedanke mich im Namen des gesamten MuK-Blogs für das großartige Interview und wünsche Anastasja Black für ihre Zukunft alles gute. Wir sind schon sehr gespannt auf ihre weiteren Projekte und Veröffentlichungen! Sofern das Interview euer Interesse geweckt hat, solltet ihr Anastasja Black auf Vimeo folgen.