Der TikTok-Algorithmus – 15 Sekunden, die süchtig machen

Unsere Mission besteht darin, Kreativität zu inspirieren und Freude zu bringen.“ So schreibt es die erfolgreiche Social Media Plattform TikTok auf ihrer Unternehmensseite und setzt damit ein Statement, das nur zu gut das Lebensmotto vieler junger kreativer Menschen, die heute so aktiv in den sozialen Medien unterwegs sind, widerspiegelt. Wie aber kommt es, dass die Plattform so durch die Decke geht? Und wie funktioniert der TikTok-Algorithmus?

Vielleicht liegt es genau an dem hohen Identifikationspotenzial mit der Mission, dass die App in den letzten Jahren kontinuierlich an Beliebt- und Bekanntheit gewonnen hat. TikTok ist nach eigenen Aussagen die führende Plattform mobiler Kurzvideos und ermöglicht es seinen User:innen, auch ohne breite Follower-Basis mediale Aufmerksamkeit – zumindest in der Welt der TikToker:innen – zu erregen. Doch was ist anders beim TikTok-Algorithmus und wie kommt es, dass er so viel attraktiver ist als bei herkömmlichen Social Media-Plattformen?

Aufbau von TikTok

Beim Öffnen der TikTok-App wird (nach Registrierung) direkt der erste Clip angezeigt. Die User:innen sehen die „Für dich“-Seite bzw. die „For You Page„. Hier dürften die Videos für neue User:innen der App noch keinem konkreten Schema folgen. Wer TikTok allerdings regelmäßig nutzt und aktiv auf die Clips anderer User:innen reagiert, der wird sicherlich bemerken, dass viele der Kurzvideos seinen Präferenzen bzw. seinen Interessen entsprechen. Hier also schon ein erster Hinweis darauf, wie der TikTok-Algorithmus funktioniert.

Neben der „For You Page“ kann der/die User:in sich auch dazu entscheiden, in eine andere Ansicht zu wechseln. Auf der „Folge ich“-Seite werden User:innen beispielsweise nur Clips von Creator:innen angezeigt, denen sie bereits folgen. Sowohl auf der „For You Page“ als auch auf der „Folge ich“-Seite befindet sich am unteren Bildschirmrand eine Navigation. Hier können User:innen entweder zu der „Entdecken“-Seite, zu ihrem Posteingang oder zum eigenen Profil gelangen. Zusätzlich haben sie die Möglichkeit, mit nur einem Fingertippen direkt einen eigenen Clip zu erstellen. Heute wollen wir uns aber vor allem mit der „For You Page“ befassen und damit, wie TikTok entscheidet, wem welche Videos angezeigt werden.

Die „For You Page“ von TikTok

TikTok-Algorithmus zeigt unterschiedlichste Clips auf der For You Page
Screenshot der TikTok „For You Page“ gezeigt wird @wifiloo_m

Auf der „For You Page“ kann sich der/die User:in durch Auf- und Abwischen durch die unterschiedlichen Clips navigieren. Am Seitenrand bieten sich ihm/ihr dabei unterschiedliche Möglichkeiten, auf das aktuelle Video zu reagieren. Die Interaktionsformen unterscheiden sich nicht sonderlich von denen anderer sozialer Netzwerke, sondern belaufen sich auf das klassische Like, Share und Comment. Über unterschiedliche Schaltflächen können die User:innen auswählen, welche der genannten Aktionen sie durchführen wollen. Sie haben ebenfalls die Option, über einen Button das Profil des/der Creator:in aufzurufen.

Am unteren Bildschirmrand wird der Name des/der Creator:in angezeigt. Darunter befindet sich in den meisten Fällen eine Beschreibung, die dem Clip hinzugefügt wurde. Hier werden auch die Hashtags angezeigt, mit denen das Kurzvideo versehen wurde. Welches Audio den Clip begleitet – sei es der Originalton oder ein bekanntes Lied – ist ebenfalls an dieser Stelle vermerkt, sodass jeder erkennen kann, welcher Sound gerade gespielt wird.

Viele Creator:innen versehen ihre Clips mit den Hashtags #fyp oder #fürdich und hoffen darauf, hierdurch bei möglichst vielen User:innen auf der „For You Page“ angezeigt zu werden. Das liegt natürlich vor allem daran, dass auf der „For You Page“ mehr Reichweite und Interaktion erzielt werden kann und der Clip im Idealfall sogar viral geht. Dementsprechend kann fast gesagt werden, dass die „For You Page“ das ultimative Ziel vieler TikToker:innen darstellt. Ob der Hashtag dabei hilft, bleibt allerdings fragwürdig.

Wie entscheidet der TikTok-Algorithmus?

Jeder möchte auf die heißbegehrte „For You Page“. Und die Chancen sind gar nicht mal so gering. Zumindest, dass ein erstellter Clip auf irgendeiner „For You Page“ landet. Wie beschrieben bespielt TikTok die „For You Page“ nach den individuellen Interessen der User:innen. Keine „For You Page“ ist deshalb gleich:

Part of the magic of TikTok is that there’s no one For You feed – while different people may come upon some of the same standout videos, each person’s feed is unique and tailored to that specific individual.“ (TikTok, 2020)

TikTok selbst beschreibt, dass der TikTok-Algorithmus auf ein sogenanntes Recommendation System zurückzuführen ist. Das heißt, es werden die individuellen Interessen und Nicht-Interessen eines/einer User:in erfasst und im Rahmen der „For You Page“ berücksichtigt. Hier fließen insbesondere die User interactions mit ein – also auf welche Inhalte ein:e User:in wie reagiert – aber auch Video information – sprich Hashtags, Beschreibungen und Inhalte dieser Videos. Auch Device and account settings – beispielsweise die Sprache, das Betriebssystem oder der Standort – fließen in diese Berechnungen mit ein, spielen aber laut TikTok eine weitaus geringere Rolle.

Die unterschiedlichen Faktoren sind unterschiedlich schwer gewichtet. So findet die Wiedergabelänge zum Beispiel eine größere Berücksichtigung im Recommendation System als die Spracheinstellungen. Erstellte Clips werden demnach also zunächst einem Ranking unterzogen, das die unterschiedlichen Faktoren mit einbezieht und die Wahrscheinlichkeit berechnet, zu der ein:e User:in (nach seinen/ihren Präferenzen zu urteilen) an diesem Inhalt interessiert sein könnte.

Und hier kommen wir auch schon zu einem der interessantesten Punkte beim TikTok-Algoritmus:

While a video is likely to receive more views if posted by an account that has more followers, by virtue of that account having built up a larger follower base, neither follower count nor whether the account has had previous high-performing videos are direct factors in the recommendation system.“ (TikTok, 2020)

TikTok ist es zunächst quasi egal, ob ein:e User:in eine große Followerbasis besitzt. Jedes Video wird neu bewertet. Dabei ist eine bereits aufgebaute Community zwar insbesondere als Starthilfe für einen neuen Clip von Vorteil, das muss aber nicht heißen, dass ein:e User:in ohne eine solche Followerbasis keine Chance hat, eine breite Masse mit seinem/ihrem Clip zu erreichen.

Der TikTok-Algorithmus gegen die „Filter Bubble“

TikTok-Algorithmus geht gegen die Filter Bubble vor
TikTok platzt die „Filter Bubble“ (Photo by Raspopova Marina on Unsplash)

TikTok selbst formuliert das Problem, dass durch das Recommendation System sogenannte „Filter Bubbles“ entstehen. Das bedeutet, dass User:innen in ihrer Entscheidungsfreiheit, was zu konsumierende Medieninhalte angeht, bevormundet werden und nur noch größtenteils homogenen Feed in ihre „For You Page“ eingespielt bekommen. TikTok geht hiergegen gezielt vor:

So verhindert die App, dass User:innen bereits angeschaute Videos angezeigt werden, oder auch, dass Clips mit demselben Sound direkt hintereinander abgespielt werden. Stattdessen werden User:innen von Zeit zu Zeit auch Inhalte angezeigt, die User:innen mit ähnlichen Interessen gefallen haben. Auch Inhalte, die nichts mit den bisherigen Interessen eines/einer User:in zu tun haben, können diesem/dieser angezeigt werden. Hierdurch will TikTok seiner Community helfen aus der eigenen „Filter Bubble“ auszubrechen und im Zuge dessen neue Interessen zu entdecken, auf die sie andernfalls vielleicht nie hätten zugreifen können.

Our goal is to find balance between suggesting content that’s relevant to you while also helping you find content and creators that encourage you to explore experiences you might not otherwise see. „(TikTok, 2020)

Der TikTok-Algorithmus for you

Was sind also unsere Erkenntnisse?

  • Der TikTok-Algorithmus ist ein komplexes System, das sowohl die individuellen Interessen eines/einer User:in berücksichtigt, als auch unabhängig davon Inhalte auf der „For You Page“ platziert.
  • Die Videos, die auf der „For You Page“ landen sind dementsprechend von User:in zu User:in unterschiedlich und können teilweise stark variieren.
  • User-Präferenzen werden anhand von User interactions, Video information und Device and account settings ermittelt
  • Anhand der User-Präferenzen entscheidet sich, welche Clips auf der „For You Page“ eines/einer User:in erscheinen
  • Eine große Followerbasis kann eine gute Starthilfe für einen neuen Clip darstellen, ist jedoch kein Garant für Erfolg

Das unterscheidet TikTok von anderen sozialen Netzwerken: Auch Creator:innen, die noch keine Follower haben, haben die Möglichkeit, durch einen Clip, der die Interessen vieler User:innen anspricht, auf zahlreichen „For You Pages“ zu erscheinen und ggf. sogar viral zu gehen – und das viel leichter als auf Instagram, Twitter und co.

Die Summe dieser Punkte macht TikTok zu einer sehr User-zentrierten App, die sich insbesondere durch den letzten Punkt von anderen Social Media-Plattformen unterscheidet. Dennoch stellt sich auch hier die Frage – wie bei Instagram, Facebook, Twitter und co. – Was passiert mit unseren Daten? Wie sicher sind meine persönlichen Informationen und was wird alles über mich gespeichert?

Laut der Süddeutschen Zeitung nutzt TikTok (wie auch Facebook) Appsflyer, um Daten über seine User:innen zu sammeln und Werbung dementsprechend anzupassen. Über 4500 Partnerfirmen haben Zugriff auf diese Daten und so ist nicht ausdrücklich klar, an wen diese Daten letztendlich noch weitergegeben werden. Daher sollte auch TikTok, das anscheinsmäßig maximale Freiheit und kreative Entfaltung garantiert, mit Vorsicht genutzt und konsumiert werden.

Keine Lust mehr auf Unsicherheit bei persönlichen Daten?
Hier eine Auswahl alternativer sozialer Medien!

Auch interessant im Bereich Social Media: Instagram für Hunde

Quellen:
OMR, TikTok, Süddeutsche Zeitung
Bilder: Unsplash, Unsplash

Avatar-Foto

Lina Pierdziwol

Lina hat ihre Begeisterung für die Welt der Medien und der Kommunikation während ihres dualen Bachelors entdeckt. Hier war sie zunächst im B2B-Eventmarketing tätig, fand aber während ihrer Bachelorarbeit schnell Gefallen an den Bereichen des Online Marketings. Nach ihrem Abschluss hat sie sich für den MuK-Master an der SRH entschieden und arbeitet seitdem parallel in einer Digitalagentur. Hier konzentriert sie sich vor allem auf Themen wie SEO und Content Management und befasst sich gerne in den gängigen Trends der digitalen Kommunikation.