36. FilmFest München – Shoplifters: Ein sozialkritisches Meisterwerk, das unsere Definition und Norm von Familie in Frage stellt.

Schlägt man das Wort „Familie“ im Duden nach, so erhält man folgende Bedeutung:

  1. aus einem Elternpaar oder einem Elternteil und mindestens einem Kind bestehende [Lebens]gemeinschaft
  2. Gruppe aller miteinander [bluts]verwandten Personen; Sippe

Koreeda Hirokazus neustes Werk Shoplifters beschäftigt sich genau mit diesem Thema: Was macht uns wirklich zu einer Familie, was bedeutet es eine Familie zu sein und wen bezeichnen wir folglich als unsere Familie? Ein sozialkritisches Meisterwerk, das unsere Definition und Norm von Familie in Frage stellt.

Im Zentrum der Geschichte steht die Patchwork-Familie Shabata, die sich neben ihren schlechtbezahlten Jobs nur damit über Wasser halten kann, das nötigste zu Stehlen. Als Osamu Shibata (Lily Franky) eines Abends, zusammen mit dem kleinen Shota (Jjo Kairi), vom üblichen Raubzug im Winter nach Hause läuft, entdecken sie auf einem Balkon in der eisigen Kälte die fünf Jahre alte Yuri (Miyu Sasaki). Aus Angst, dass das Mädchen erfrieren könnte, nehmen sie es zum Abendessen mit nach Hause.

©Shoplifters/Hirokazu Koreeda (2018)

Anfangs scheint Osamus Frau Nobuyo (Sakura Andy) nicht sehr begeistert davon, noch ein weiteres hungriges Maul stopfen zu müssen, doch als sie die blauen Flecken und Narben an Yuris Körper sieht, bringt sie es nicht mehr über’s Herz das kleine Mädchen wieder nach Hause zu schicken. In Omas (Kirin Kiki) kleiner Hütte lebt die junge Familie nun, gemeinsam mit der Enkelin Aki (Mayu Matsuoka), zusammengepfercht auf engstem Raum.

Über die Dauer des Films erfährt der Zuschauer immer mehr über die außergewöhnliche Familienkonstellation. In einer stetig weiter verarmenden Gesellschaftsschicht im urbanen Tokio, in der Arbeiter sich ihre Jobs teilen müssen, damit jeder am Ende noch ein bisschen ärmer wird, als er eh schon ist, zeigt der Film eindrücklich, dass Blut nicht dicker als Wasser sein muss. Zwischen all der Armut finden sich Momente des Glücks, des Zusammenhalts, der Leichtigkeit und auch Liebe, ohne dass der Film dabei je kitschig wirkt. Als der kleine Shota, schon länger von Gewissensbissen geplagt, eines Tages beim Stehlen erwischt wird, nimmt die Geschichte der Familie jedoch eine tragische Wendung, die den Zuschauer in den letzten 20 Minuten auf eine wahrliche Gefühlsachterbahn mitnimmt. Einerseits gibt das Ende endlich Klarheit über die Entstehung dieser ungewöhnlichen Familie, gleichzeitig regt es dazu an darüber nachzudenken, ob Biologie und Gesetze wirklich eine gute Grundlage sind unsere Familienzugehörigkeit zu bestimmen und wo hierbei die Grenzen zwischen Recht und Unrecht liegen.

Koreeda Hirokazu gelingt es mit Shoplifters, den Zuschauer so nah an seine Protagonisten heranzuführen, dass man von Anfang bis Ende mit ihnen mitfühlt, voll und ganz in die Intimität ihres Familienlebens eintaucht und auch in ihren dunkelsten Momenten nicht anders kann, als weiter mit ihnen zu sympathisieren und das trotz der Tatsache, dass uns Europäern die japanische Kultur auf den ersten Blick so fremd erscheinen mag. Herauszuheben sind hier natürlich auch die überzeugenden schauspielerischen Leistungen des gesamten Ensembles, allen voran der Kinder Jjo Kairi und Miyu Sasaki.

Shoplifters hat beim Film Festival in Cannes von der Jury bereits die goldene Palme verliehen bekommen und soll voraussichtlich am 27. Dezember in die Kinos kommen. Ein Film, den nicht nur Arthouse-Fans wortwörtlich auf dem Schirm haben sollten.

Den Trailer findet ihr HIER

 

Über den Regisseur und Drehbuchautor

Koreeda Hirokazu wurde 1962 in Tokio geboren. Die Themen Famile, Tod und Verlust sind oft Zentrale Themen seiner Filme.  So auch bei „Like Father, Like Son“, der 2013 ebenfalls auf dem FilmFest München lief und zuvor den Jurypreis in Cannes verliehen bekam. Sein Erzählstil scheint meist sehr dokumentarisch. Außerdem fördert der Filmemacher in seiner Heimat den Nachwuchs in der Branche.

 

Textquellen:
http://www.filmfest-muenchen.de/en/programm/filme/film/?id=5905
http://www.spiegel.de/kultur/kino/cannes-filmfestspiele-goldene-palme-fuer-shoplifters-a-1208685.html
http://www.filmstarts.de/kritiken/262694.html
https://www.imdb.com/name/nm0466153/bio?ref_=nm_ov_bio_sm
https://www.duden.de/rechtschreibung/Familie

 

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Emely Hardt

Emely Alexandra Hardt entschied sich, dank eines Vollstipendiums, während ihrer Arbeit als Tänzerin und Choreografin, für ein Fernstudium an der Srh Riedlingen. Sie war bereits an internationalen Filmproduktionen, unter anderem mit Oscar Preisträgerin Brie Larson und Donald Sutherland, beteiligt und gründete im Mai 2017 ihre eigene Produktionsfirma "Smart Hardt". Zusätzlich ist sie seit April 2017 in der In-House Produktion der Constantin Film München tätig.